Die Sache mit dem Genick
- Melanie Pferzinger
- 6. Okt. 2018
- 8 Min. Lesezeit
Nach dem Dressursitz kommen wie dann auch schon gleich bei der Hilfengebung an, die aus dem korrekten, geschmeidigen Dressursitz entsteht.

Und tatsächlich auch nur daraus. Wenn man verpasst sich eine ordentliche Sitzgrundlage zu legen, der wird spätestens dann scheitern, wenn die Hilfengebung anhand der geforderten Lektionen komplexer,schneller und genauer wird. Spätestens in den Seitengängen werdet ihr scheitern, wenn der Sitz nicht stimmt.
Das heißt jetzt nicht, dass alle 100% perfekt sitzen müssen, da kann ja wohl keiner, ich auch nicht. Aber man sollte schon in der Lage sein, seinen Sitz soweit unter Kontrolle zu haben, dass daraus eine für das Pferd verständliche Hilfengebung möglich ist.
Ihr sollt im Grundsatz richtig sitzen, das Pferd nicht behindern, aber ihr dürft durchaus leben und euch auf und mit dem Pferd bewegen.
Wer sich nicht traut auch Fehler zu machen, kann auch nicht daraus lernen.
Die Basisarbeit ist ja jetzt nicht unbedingt das was Spaß macht und womit man glänzen kann, aber sie ist einfach das Grundgerüst eurer Reiterei, praktisch das Fundament. Und was passiert, wenn man kein vernünftiges Fundament hat, das könnt ihr gut am Schiefen Turm von Pisa sehen.
Jeder fängt mal klein an
Die Sitzgrundlage sollte ein vom Zügel unabhängiger, ausbalancierter Grundsitz sein, auch wenn Nina hier gerade ihre faule Rapunzel am Bein etwas mehr anpacken muss. Das Reiten mit Ausbindern oder Dreieckszügeln hilft den jungen Reitern dabei, sich auf sich selbst konzentrieren zu können und an der Hilfengebung zu arbeiten. Mit einem gefestigten Grundsitz kann man auch solche Freudensprünge locker aussitzen, ohne gleich das Gleichgewicht zu verlieren.
Aber jetzt mal los zum eigentlichen Thema, bevor hier schon wieder 1000 Worte stehen, bevor es an das richtige Thema geht.
Das Thema heißt : „Durchs Genick reiten“
Erstmal, was ist das eigentlich, durchs Genick reiten? Für mich persönlich ist das einfach nur ein mißverständlicher Ausdruck, der genauso verstanden wird, wie er heißt und damit schonmal im Grundsatz falsch umgesetzt wird.
Die häufigste Folge davon ist, dass gleich mal der Hilfszügel, der einem bisher gute Dienste erwiesen hat rausgeschnallt wird und man mal feste anfängt am Zügel zu zuppeln. Klar, ist ja logisch, das sagt ja schon der Satz. Wir wollen das Genick bearbeiten und das geht ja mal am besten am Zügel, wie auch sonst.
Und spätestens hier sträuben sich mir die Nackenhaare. Durchs Genick reiten heißt nicht solange rechts oder links am Zügel zu ziehen, bis das Pferd endlich den Kopf runter nimmt. ( Ein schlaues Pferd wird genau das Gegenteil tun, welch Wunder auch), sondern es heißt vielmehr seine gesamten Hilfen so zusammenwirken zu lassen, dass eine Verbindung zwischen den Hilfen des Reiter und den Reaktionen des Pferdes entsteht.
Ich verwende also lieber den Ausdruck: „An die Hilfen reiten“, das vermeidet viele Missverständnisse und trifft meiner Meinung nach das Thema besser.
Und dieses „an die Hilfen reiten“, das kann man nicht heute und sofort wollen, nur weil einem das jetzt gerade so einfällt oder von Stallkollegen eingeredet wird. Das kommt, wenn es kommen soll, soll heißen, wenn eure Hilfen, eure Einwirkung, die ihr auf das Pferd habt, so präzise abgestimmt sind, dass ihr das Pferd „schließen“ könnt, dann habt ihr es geschafft. Oft sind es anfangs nur Momente, in denen man schon mal an dem guten Gefühl schnuppern darf. Die Momente werden mehr werden, je mehr ihr daran arbeitet und je mehr ihr bereit seid, euch weiterzubilden, euch helfen zu lassen, euch nicht durch falschen Ehrgeiz auf den falschen Weg begebt und übt, bis es euch zum Hals raus hängt.
Ein Pferd richtig reiten ist ein Gefühl, das muss man lernen, man muss lernen zu fühlen, wann man welchen Impuls in welchem Moment gibt. Man muss auch lernen das auf verschiedenen Pferden umzusetzen, der eine braucht hier ein bisschen mehr Unterstützung, der andere woanders. Das kann und muss man fühlen lernen. Sehr hilfreich ist es dabei natürlich so viel wie möglich und am Besten auch verschiedene Pferde zu reiten.
An die Hilfen reiten lernen wir in der Regel nicht, in dem wir geradeaus reiten und dann mal vorne ziehen. Wir lernen es auch nicht, wenn wir dem Pferd auf gebogener Linie den Kopf nach innen ziehen, bis es „freiwillig“ nachgibt. Um das Pferd an die Hilfen zu reiten sind uns zahlreiche Möglichkeiten gegeben, wie z.b. ein Zirkel, der so eine komplexe Einwirkung erfordert um ihn korrekt zu reiten, dass das an die Hilfen reiten ganz selbstverständlich gefordert wird, da es sonst ein Ei und keine Zirkel wird. Dazu komme ich aber gleich.
Die Blickrichtung der Reiterin geht in die Bewegungsrichtung bzw. hat den nächsten zu erreichenden Sprung im Blick. Dadurch dreht sich der Oberkörper und die Hüfte. Die Reiterin bleibt trotzdem über dem Pferd und kippt nicht in die Kurvenlage. Das Pferd steht am äußeren Zügel in bleibt trotz Wendung in sich aufrecht. Die Innenstellung ist ausreichend für die Wendung, das Pferd wird nicht am inneren Zügel in die Wendung gezogen.
Aber welche Hilfen haben wir denn eigentlich?
Die Hilfen die wir haben sind die Schenkel, die Gewichts,- und die Zügelhilfen.
Keine dieser drei Hilfen soll alleine eingesetzt werden, sondern immer im Zusammenspiel miteinander. Daraus entsteht dann das, was ihr unter dem Begriff „Parade“ kennt. Parade heißt nämlich nicht, am Zügel zu ziehen, sondern die drei genannten Hilfen gemeinsam einzusetzen, um den Effekt zu erreichen, den man haben will. Egal, ob man die Gangart in eine höhere oder eine niedrigere wechseln will, egal ob man abwenden, zulegen, einfangen oder einfach eine neue Lektion einleiten will, für alles brauchen wir die Paraden.
Natürlich werden nicht immer alle Hilfen im gleichen Maß eingesetzt. Aber eben im Zusammenspiel miteinander.
Reitet ihr beispielsweise einen Übergang vom Trab zum Schritt und nehmt einfach nur den Zügel an, ohne das Pferd dabei mit Schenkel,- und Gesichtshilfen vorwärts zu treiben, wird die Parade schief gehen. Das Pferd wird zwar wahrscheinlich vorne bremsen, aber eben nur vorne. Ihr wollt aber ja den gesamten Körper des Pferdes bremsen und nicht nur das, was vor dem Sattel ist. Unter und hinter dem Sattel ist ja auch noch Pferd, auch, wenn ihr es nicht seht. Aber ihr spürt es. Also muss man im Übergang mit der Schenkel,-und Gewichtshilfe weiter vorwärts treiben um ein Kippen des Pferdes auf die Vorhand zu vermeiden und in der neuen Gangart nahtlos im Takt weiterreiten zu können. Durch das Aufrichten des Oberkörpers und das gleichzeitige leichte Annehmen am Zügel bei gleichzeitigem weitertreiben mit dem Bein können wir das Pferd im Gleichgewicht durchparieren. Das heißt, dass es eben nicht nur vorne durchpariert, sondern gleichzeitig mit dem Hinterbein fleißig bleibt. Die Hinterhand bleibt also nicht stehen und muss dann neu angeschubst werden, sondern fußt gleich gleichmäßig ohne Stockung weiter und wir können gleich in der neuen Gangart weiterreiten.
Dieses Halten ist schon recht gut im Gleichgewicht, das linke Hinterbein könnte noch geschlossener stehen aber das Pferd steht gerade, auf allen vier Beinen und die Hinterbeine stehen nicht deutlich nach hinten raus. Obwohl der Zügel in dem Moment noch angenommen ist, legt sich das Pferd nicht auf die Hand, das Genick ist oben. Im nächsten Moment wird die nachgebende Zügelhilfe folgen, das Pferd wird am Gebiss abkauen.
Ähnlich, wenn ihr auf einen Zirkel abwendet. Ziehen wir nur am inneren Zügel wird das Pferd wohl schon von der Bande abwenden, aber das reicht uns ja nicht. Die Hinterhand ist dann irgendwo, aber nicht da, wo sie sein soll, nämlich in einer gebogenen Linie hinter der Vorhand.
Wollt ihr aber eine runde Zirkellinie reiten muss das Pferd ja erstmal den Takt halten, dafür müsst ihr weitertreiben, damit aus der Wendung nicht gleich mal ein Taktfehler entsteht. Der äußere Schenkel sorgt dabei für das Abwenden von der Bande, gleichzeitig sorgt aber der innere Schenkel für die Biegung. Beide im richtigen und für den Moment und das Pferd passenden Maß. Auch hier gibt es keine Pauschalisierung, wieviel Druck notwendig ist, das müsst ihr wieder fühlen.
Auf der Zirkellinie ist der Hals des Pferdes nur soviel gestellt, wie die Zirkellinie rund ist. Würden wir den Kopf weiter nach innen stellen und das Pferd am inneren Zügel festhalten, könnte das innere Hinterbein nicht mehr genug unterspringen und damit keine Last mehr aufnehmen. Die Blickrichtung ist in Bewegungsrichtung, die äußere Schulter/ Hüfte ist leicht in die Richtung gedreht. Im Moment des Bildes nimmt der innere Zügel gerade an, der äußere lässt die Stellung zu, steht aber trotzdem an. Der innere Schenkel treibt für die Längsbiegung, die Gewichtshilfe gibt die Richtung vor. Der äußere Schenkel begrenzt die Linie nach außen.
Im weiteren Verlauf des Zirkels begrenzt der äußere Schenkel weiterhin die Linie ( und das auch da, wo wir an der Bande reiten), der innere erhält die Biegung.
Die Gewichtshilfe wird durch das Mitgehen in der Hüfte bzw. im Oberkörper eingesetzt. Wenn ihr schon mal ohne Lenker Fahrrad gefahren sein, wisst ihr, dass ihr euer Fahrrad durch drehen des Körpers lenken könnt. Beim Pferd ist das ähnlich. Man geht mit der Hüfte in die die Bewegungsrichtung des Pferdes mit, gleichzeitig wird natürlich der Oberkörper inkl. Schulter folgen. Da beim Pferd in der Wendung auch die äußere Hüfte und die äußere Schulter etwas weiter vorne sind, sind wir dann wieder parallel zum Pferd, also in die Bewegungsrichtung. Damit bestätigen wir dem Pferd, dass es auf dem richtigen Weg ist.
Die Zügelhilfe ist natürlich auch da. Ohne die Verbindung zum Pferdemaul würde das Pferd ja vorne irgendwohin laufen und das in irgendeinem Tempo. Da wir aber ja einen guten Takt haben wollen, fangen wir die treibende Hilfe, die aus der Schenkel,- und Gewichtshilfe kommt vorne am Zügel wieder ab und haben somit das Tempo, das wir reiten wollen, aber eben mit dem Zusammenspiel mit dem fleißigen Hinterbein.
Gleichzeitig sorgt der innere Zügel für die Stellung des Halses, der genau so gestellt sein soll, wie die Linie es vorgibt. Nicht mehr und nicht weniger.
Ihr seht also, schon alleine das Reiten eines einfachen Zirkels ist eine ganz schöne Herausforderung an euer Gefühl. Ein runder Zirkel im gleichmäßigen Takt mit einem an den Hilfen stehenden Pferd könnt ihr dann reiten wenn ihr alles im Einklang habt. Und zwar nicht nur einmal, sondern Runde um Runde.
Und glaubt mir, das alles übt sich viel einfacher, wenn man es mit Hilfe eines Hilfszügels z.B. eines Dreieckszügels übt. Dadurch nehmt ihr euch den Druck den Kopf des Pferdes kontrollieren zu müssen und dann doch wieder aus Verzweiflung am Zügel zu ziehen. Ihr habt mal wieder Zeit euch erst mal auf euch und eure Hilfengebung zu konzentrieren. Wenn die gut ist, wird der Dreieckszügel, der ja locker verschnallt sein kann, durchhängen und irgendwann werdet ihr in nicht mehr brauchen. Gleichzeitig kann euer Pferde weiter entspannt über den Rücken gehen und wird euch zum sitzen kommen lassen. Da haben wir wieder den Kreislauf. Ein verspanntes Pferd lässt euch nicht sitzen, ohne Sitz keine Einwirkung, ohne Einwirkung kein lockeres Pferd…. Außerdem ist es ja gar nicht unser Ziel, dass das Pferd den Kopf unten hat. Hört sich jetzt kurz blöd an, ist aber so. Das Pferd soll ja nicht vor uns abtauchen, den Kopf unten haben, solange wir am Zügel ziehen, im Gegenteil, es soll sich ja selbst tragen. Selbst tragen, heißt, dass das Pferd die Oberhalslinie nach oben aufwölbt und das Genick der höchste Punkt wird. Dann können wir auch am Zügel nachgeben, ohne dass sich das Pferd sofort befreit. Es geht dann in Selbsthaltung, auch relative Aufrichtung genannt.
Die relative Aufrichtung wird durch die Arbeit des Pferdes durch den gesamten Körper erreicht. Das Hinterbein fußt aktiv unter den Schwerpunkt, die Rückenlinie als Verbindungslinie zwischen Vor,- und Hinterhand ist locker und nimmt die Bewegung aus der Hinterhand auf. Dadurch geht die Kraft aus dem Hinterbein ( dem Motor) nach vorne in die Vorhand. Das Pferd ist unter positiver Spannung, richtet sich aus dem Widerristbereich mit nach oben gewölbter Halslinie auf und trägt seinen Kopf selbst. Wir haben zwar noch über den Zügel Verbindung zum Pferdemaul, brauchen ihn aber nicht, um den Kopf zu fixieren. Das ist dann auch der Moment, wo wir die Nasenlinie vor sie Senkrechte bekommen, da wo sie laut Lehrbuch hin soll.
Die treibenden Hilfen animieren das Hinterbein dazu unter den Schwerpunkt zu springen. Die Hand lässt die Aufrichtung und damit den Weg ins bergauf zu, begrenzt aber den Galoppsprung nach vorne und verhindert somit ein schneller werden des Pferdes. Die Kraft des Galoppsprungs wird zentriert und „im Pferd“ gebündelt.
Die absolute Aufrichtung ist eine rein durch die Hand erzwungene Halshaltung, die dem Pferd sehr unangenehm ist und keine Rückentätigkeit zulässt. Das Hinterbein schwingt nicht mit, dadurch ist keine Losgelassenheit möglich.
Eigentlich wollte ich euch eine Skizze machen, um die mit der Hand erreichte/ erzwungene Aufrichtung darzustellen, aber meine fehlenden künstlerischen Fähigkeiten lassen das leider nicht zu.
Natürlich wird der Begriff “ Durchs Genick reiten“ in der Fachsprache immer wieder verwendet und erfahrene Reiter wissen damit ja auch umzugehen, aber für den Teil eurer Reitausbildung, wo ihr ihn noch falsch verstehen könnt, ist die andere Begrifflichkeit einfach selbsterklärender und logischer.
Das wars auch schon wieder mit meiner kleinen Reihe an Wissensbeiträgen. Mir hat es persönlich sehr viel Spaß gemacht und wer weiß, vielleicht mach ich so etwas ähnliches noch einmal.
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